Sehr geehrter Herr Gehring, die Corona-Pandemie hat uns die enorme Bedeutung von Forschung und Innovation für die Gesellschaft deutlich vor Augen geführt. Sie treten für ein „Update“ der Innovationsförderung in Deutschland ein. Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf und wie hängt dieser mit der Vision D.Innova zusammen?
Kai Gehring: Gerade richten sich alle Augen auf die Gesundheitsforschung – völlig zurecht. Denn es ist die Erforschung neuer Impfstoffe, Medikamente und Therapien, auf die es bei der Bewältigung der Pandemie ankommt. Gleichzeitig pausieren andere Krisen nicht: die globale Erderhitzung, der Raubbau an unserer Umwelt oder das massive Artensterben. Die Herausforderungen sind groß, aber mit Erfindungsgeist, neugiergetriebener und zukunftsweisender Forschung können wir sie bewältigen. Und die D.Innova soll dabei unterstützen, neue Ideen und Entwicklungen schneller in die Anwendung zu bringen. Denn wir können es uns einfach nicht leisten, sie im Labor verstauben zu lassen.
Was ist die Geschichte hinter D.Innova?
Kai Gehring: Wir führen hierzulande seit einigen Jahren die Debatte um die Gründung einer „Deutschen Transfergemeinschaft“, um insbesondere das Innovationspotential der Hochschulen für angewandte Wissenschaft und der Fachhochschulen noch stärker zu nutzen. Daran knüpfen wir mit unserem Konzept an und denken es weiter – vor allem, indem wir ein breiteres Akteursfeld einbeziehen wollen. In diesem Jahr gibt es die Chance, wichtige Weichen auf Zukunft zu Stellen. Dabei spielen für uns grüne Wissenschaft und Forschung eine zentrale Rolle. Darum bringen wir unsere Vorschläge jetzt in die Debatte ein, um bestehende Lücken im deutschen Innovationssystem kreativ und konzeptionell zu schließen.
Sie möchten mit D.Innova sowohl nicht-wirtschaftliche Einrichtungen als auch Unternehmen ansprechen. Bislang zielen Förderprojekte meist auf den öffentlichen oder privaten Sektor ab – mit untergeordneten Optionen zur Vernetzung über Kooperationen oder Auftragsforschung. Soll es bei D.Innova einen Schwerpunkt geben?
Kai Gehring: Bei der D.Innova liegt der Schwerpunkt auf der Herausbildung lebendiger, regionaler Innovationsökosysteme. Verschiedene Akteure sollen hier ihre Perspektiven und Kompetenzen in Forschungs- und Transferprojekten zusammenbringen. Das betrifft Hochschulen jeden Typs und Unternehmen, aber zum Beispiel auch zivilgesellschaftliche Gruppen. Sie alle können etwas dazu beitragen, neue und nachhaltige Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln – und konkret vor Ort umzusetzen. Das kann sich mit manchen bestehenden Förderstrukturen gut ergänzen, etwa dem Programm „Innovative Hochschule“ oder ReallaborStrategien, geht aber darüber hinaus. Je nach Lage vor Ort, können die Akteurskonstellationen und Innovationsökosysteme unterschiedlich ausfallen. Es gibt keinen „one size, fits all“-Ansatz. Darum sollen über die D.Innova auch Innovationsmanager*innen in Regionen aktiv werden können, die abgestimmt auf die Region beim Aufbau von Kooperationsverbünde unterstützen können.
Eines der zentralen Themen soll die Ausgründungsförderung sein? Können Sie uns kurz das Konzept und Potenzial dahinter erklären?
Kai Gehring: Viele Erkenntnisse und Ideen für Innovationen kommen aus der Wissenschaft und lassen sich auf dem Weg der Gründung umsetzen. Es gibt aber nach wie vor strukturelle Hemmnisse, die Ausgründungen im Wege stehen. Und nicht an allen Hochschulen gibt es das gleiche, gründungsfreundliche Klima. Wir wollen Hemmnisse abbauen und dazu beitragen, dass mehr Studierende und Wissenschaftler*innen Ausgründungen als einen möglichen Karrierepfad in Betracht ziehen. Das soll die D.Innova mitunterstützen, indem sie diese Zielgruppen berät und auch selbst neue Fördermöglichkeiten für Ausgründungen schafft.
Forschung und Entwicklung ist mit erheblichen Kosten verbunden. Soll es bei D.Innova eine finanzielle Förderung geben und wer hätte Anspruch darauf?
Kai Gehring: Gerade wer jenseits ausgetretener Pfade forscht und unkonventionelle Ideen verfolgt, muss oft lange nach Forschungsförderung suchen. So adressieren beispielsweise die bestehenden Wirtschaftsförderformate vor allem Produktverbesserungen, aber keine neuen Ideen, die in vielfältigen Netzwerken erdacht werden. In der D.Innova soll ein sogenannter Innovationsrat aus ausgewiesenen Fachexpert*innen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen darüber entscheiden, welche Vorhaben und Strukturen gefördert werden sollen – von Hochschulen, Unternehmen, der Zivilgesellschaft und wer sonst noch Teil des Netzwerks ist. Aber auch wenn es noch an Umsetzungspartnern fehlt, soll die D.Innova dabei helfen, die richtigen Leute zusammenzubringen.
Sie konstatieren, dass unsere Gesellschaft einem immer schnelleren Wandel unterliegt. Ich zitiere: „Die Antwort darauf kann nicht allein die altbekannte Forschungsförderung sein“. Was ist für Sie an der derzeitigen Forschungsförderung positiv? Was ist negativ?
Kai Gehring: Wir haben hierzulande eine hervorragende Forschungslandschaft, was auch der öffentlichen Forschungsförderung von Bund und Ländern zu verdanken ist. In der Pandemie haben wir aber noch einmal ganz akut gemerkt, dass die Fördermechanismen nicht immer schnell genug auf neue Herausforderungen reagieren können – oder die Logik einzelner Programmausschreibungen unnötige Hürden schafft. Dabei sind die Forschenden hoch motiviert, Neues auszuprobieren und gemeinsam mit anderen aktiv zu werden. Genau da setzt die D.Innova an, die – orientiert an den Globalen Nachhaltigkeitszielen – notwendige Unterstützung leistet. Gleichzeitig braucht es aber auch mehr Verlässlichkeit, etwa wenn es um die Grundfinanzierung der Hochschulen, die Laufzeit der Drittmittelförderung und planbaren Karrierewegen von Forscher*innen angeht. Wir wollen, dass mit Sicherheit frei und mehr geforscht werden kann. Nur mit diesem Mix wird die Forschung hierzulande auf Dauer stark bleiben.
Wie beurteilen Sie die noch junge Forschungszulage vor dem Hintergrund eines einfachen und somit dynamischen Verfahrens als Anreiz-Instrument für Innovationsförderung? Was erfüllt/kann die Forschungszulage nicht?
Kai Gehring: Die Einführung der steuerlichen Forschungsförderung war überfällig – wir Grüne hatten im Bundestag schon in der letzten Wahlperiode den ersten Gesetzentwurf für einen Steuerbonus eingebracht. Dabei war uns immer wichtig, Geld nicht mit der Gießkanne zu verteilen, sondern gezielt die innovationsstarken KMU zu erreichen, um dort mehr F&E anzureizen. Das hat die Bundesregierung nicht gut hinbekommen, da wollen wir Grüne den Fokus klarer auf kleine und mittlere Unternehmen setzen.
Letzte Frage: Was ist an D.Innova typisch für Die Grünen?
Kai Gehring: Wir Grüne hören auf die Wissenschaft und nehmen die Herausforderungen unserer Zeit ernst. Wir fördern die Internationalisierung von Forschung, darum haben wir uns von erfolgreichen Innovationsagenturen anderer forschungsstarker Länder inspirieren lassen. Die Globalen Nachhaltigkeitsziele beschreiben einen Weg, der Ökologie und Nachhaltigkeit sowie soziale Gerechtigkeit und Teilhabe bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zusammenbringt. Das spiegelt sich auch ganz klar in der D.Innova wider: Wir öffnen neue Räume, in denen gesellschaftliche Akteure – von der Wissenschaft über die Wirtschaft bis zur Zivilgesellschaft – gemeinsam nach Antworten suchen und gemeinsam umsetzen. Wenn Sie so wollen, sollen Visionen praktisch werden. Und ja, das ist auch typisch für die Grünen. Wir wollen den sozialen, ökologischen und digitalen Wandel aktiv gestalten, nicht den Status Quo verwalten. Und dazu gehört eine noch dynamischere Forschungs- und Innovationsförderung.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Über Kai Gehring: Bundestagsabgeordneter aus Essen und Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschulen der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Mehr über das Konzept D.Innova hier.
Das Gespräch führte Dr. Carsten Schmidt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei INNOMAGIC Deutschland GmbH.
Berlin, den 20. Mai 2021.
Dr. Carsten Schmidt